Abbildung: Z thomas, 2015, CC-BY-SA 4.0

Goslar – Kollegiatstift St. Simon und Judas

Existenz: 1047 bis 1803
Heutiges Gebiet: Stadt Goslar, Landkreis Goslar.
Orden/Art:  Kollegiatstift, Kanoniker
Damalige kirchliche/weltliche Zugehörigkeit: Diözese Hildesheim; Reichsstadt Goslar

Das Stift wurde vor 1047 von Kaiser Heinrich III. zum ewigen Andenken an seine Person gegründet. Um den Bestand seiner frommen Stiftung für alle Zeiten zu sichern, akquirierte der Kaiser nicht nur zahlreiche Reliquien, sondern widmete das Stift 1049 dem Hl. Stuhl in Rom, der alle Eingriffe in die inneren Verhältnisse und vor allem in die Güterausstattung der Kanoniker unterbinden sollte. Die römisch-deutschen Herrscher bezeichneten St. Simon und Judas seit staufischer Zeit konsequent als „unsere kaiserliche Spezialkapelle“. Die besondere – seit 1253 freilich nur noch mittelbar gegebene – Nähe zu Kaiser und Reich betonte das Kapitel ebenso beharrlich wie erfolgreich bis zu seiner Aufhebung. Zu den Reliquien des Stifts zählten die pulverisierten Schultern der Apostel Simon und Judas (aus Hersfeld), das Haupt des hl. Servatius (aus Maastricht), unter anderem den Körper des hl. Valerius (aus Trier) sowie Blutpartikel des Erzmärtyrers Stephan. Seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert entwickelte sich aus den Reliquienschauen eine alljährliche Wallfahrt am Tag der Apostel Petrus und Paulus (29. Juni).
Die Kanonikergemeinschaft lebte zunächst gemäß den Bestimmungen des Aachener Konzils von 816. 1169 räumte Kaiser Friedrich I. den Kanonikern die freie Verfügungsgewalt über die Pfründengüter ein, damit der bislang an der Spitze des Kapitels stehende Propst ungehindert seinen Reichsdienst erfüllen könne. Zu den Klosterämtern zählten: Propst (erstmals genannt: 1049), Dekan (zu 1115), dispensator prebendarum (1163), Scholaster (1174), Küster/Thesaurar (1188), Ökonom/Syndicus (1188), Kämmerer (1191/94), Viztum (ca. 1191/94), Vikar (1229), Obödienziar (1277), Prokurator (1286), distributor generalis (1288), Kantor (1356), Bursar (1366), Kellner (1375), Senior (1402), Subsenior (1605). Zwar lassen sich Anklänge an das einstige Gemeinschaftsleben bei den Goslarer Stiftsherren bis in die Frühe Neuzeit nachweisen, doch zeichnete sich ab dem 13. Jahrhundert eine allmähliche Lockerung der vita communis ab. Der Besitz einer eigenen Kurie, das heißt eines eigenen Hauses, war keine Seltenheit mehr. Im Laufe des 13. Jahrhunderts setzten sich die Kanoniker neben einigen Hochadligen immer mehr auch aus in Goslar und Umgebung ansässige Ministerialen des Reichs sowie Goslarer Bürgerfamilien zusammen. 1431 existierten insgesamt 22 Kanonikate, 1802 bestand das Kapitel aus sieben Stiftsherren, von denen drei in Goslar residierten. 1229 ist der erste Vikar des Stifts nachweisbar, der die Aufgaben eines Kanonikers im Chor bei dessen Abwesenheit gegen Bezahlung stellvertretend übernahm. Rund anderthalb Jahrhunderte später waren die durch zahlreiche Altarstiftungen längst fest institutionalisierten Vikare und Altaristen so unentbehrlich für den Chordienst geworden, dass die Stiftsherren ihnen 1384 mit der Exkommunikation und dem Entzug ihrer Vikarien drohen ließen, falls sie nicht strikte Residenz hielten, d.h. sich nicht dauerhaft am Ort aufhielten. Von 1474 bis zur Aufhebung des Stifts übten die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg eine Schutzvogtei über das Stift aus, die ihnen anfangs mit Gebeten, ab 1615 mit dem Nominationsrecht für eine Pfründe entgolten wurde.
Im ausgehenden 12. Jahrhundert verfügte das Stift über mindestens zwölf Herrenhöfe in Adersleben, Bielen, Egeln, Etgersleben, Giersleben, Harlingerode, Jerstedt, der späteren Wüstung Oldendorf, Pfersdorf, Reinstedt, Semmenstedt, Wehre und Windehausen. Anfangs verfügten die Kanoniker über einen eigenen Bierbrauer. Am Ende des 12. Jahrhunderts befanden sich auch zahlreiche im Stadtgebiet, der näheren Umgebung und bei einigen Herrenhöfen gelegene Mühlen im Besitz der Kanoniker. Die Kontrolle über die städtischen Mühlen (und Kaufbuden) verloren die Stiftsherren allerdings 1293 infolge des sog. „Mühlen- und Hallenstreits“.
Das Stift übernahm die pfarrkirchliche Versorgung der Bewohner im „Pfalzbezirk“, musste aber im 13. Jahrhundert die Rechte seiner einstigen Filialkapelle St. Thomas an diesem Areal anerkennen. Es verfügte über Patronatsrechten an den Kirchen in Astfeld (1311); Baddeckenstedt (ca. 1191/94); Dingelstedt (ca. 1191/94); Giersleben (1163); an den Kapellen St. Maria Magdalena, St. Andreas und Unser-Lieben-Frauen in Goslar (1287, 1299, 1366/93); Harsleben (1226); in der heutigen Wüstung Oldendorf (1319); Pfersdorf (1323); Wehre (1268). 1431 wurden die Pfarrkirchen in Astfeld und † Oldendorf (bei Einbeck) sowie St. Matthias in Zellerfeld dem Stift inkorporiert.
1175 wird erstmals ein Scholaster in den Quellen erwähnt. 1528 gründete Dr. Johannes Amandus für die protestantisch gewordenen Bürgersöhne eine neue Schule, die so genannte Marktschule. Diese scheint noch im selben Jahrhundert wieder eingegangen zu sein.
1630 wurden die zwischenzeitlich protestantisch gewordenen Kanoniker durch den Osnabrücker Fürstbischof Franz Wilhelm von Wartenberg, der von Kaiser Ferdinand II. mit der Durchsetzung des Restitutionsedikts in Norddeutschland betraut worden war, aus ihrem Stift vertrieben und die Einkünfte von St. Simon und Judas zu Dotierung eines neu gegründeten Jesuitenkollegiums angewiesen. Bereits zwei Jahre später nahmen schwedische Truppen die Stadt kampflos ein und die Stiftsherren konnten ihre Pfründen wieder in Besitz nehmen.
Allein das Nordportal mit der Vorhalle blieb erhalten. Das Gelände dient heute als Parkplatz. Die Inschriften sind in DI 45 verzeichnet. Von den zahlreichen Altären des Stifts und ihren Auf- und Unterbauten sind heute nur noch einige wenige Exemplare erhalten; im Goslarer Museum befinden sich zwei Gobelins, die ehedem die Rückseiten des Chorgestühls zierten (um 1520); ein Glasfenster mit der Darstellung der Geburt Jesu (um 1240); den Giebel der „Domvorhalle“ zieren heute noch sechs überlebensgroßen Stuckfiguren von ca. 1230/40, die neben Maria und den drei Hauptpatronen der Kirche auch zwei Laien zeigen, vermutlich Heinrich III. und Friedrich I.

Literatur: Tillmann Lohse, Artikel Goslar – Kollegiatstift St. Simon und Judas, in: Niedersächsisches Klosterbuch. Verzeichnis der Klöster, Stifte, Kommenden und Beginenhäuser in Niedersachsen und Bremen von den Anfängen bis 1810, herausgegeben von Josef Dolle unter Mitarbeit von Dennis Knochenhauer, (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen Band 56,1), Bielefeld 2012, S.

Germania Sacra: 81

GND: [7862595-6]

Bearbeiterin: Leonie Bunnenberg